Wie kann man 100 Jahre nach dem Waffenstillstand des Ersten Weltkriegs an das Ende dieses weltweiten Konflikts erinnern, an dem auf verschiedenen Ebenen 72 Nationen beteiligt waren und der mehr als 18 Millionen Menschen das Leben kostete? Wird das Ereignis nach Abschluss der offiziellen Zeremonien "abgehakt"? Mit Sicherheit nicht. In Frankreich, Kriegsschauplatz auf einem großen Teil seines Staatsgebiets, starben fast 1.400.000 französische und koloniale Soldaten auf dem Schlachtfeld. Es gibt keine französische Familie, die sich nicht an einen Großvater, einen Onkel, einen gefallenen Sohn von Freunden in der Somme, in Verdun erinnern kann…

François Mayu, Nein! / Skulptur, 2016, Mayu, François (geboren am 15.11.1955 in Saint-Cloud), französischer Bildhauer und Maler, "Non!" (Nein!), 2016, Geschosssplitter, 31 × 52 × 19 cm © akg-images / François Mayu
Im Jahr 2000 verlässt der an der Union Centrale des Arts Décoratifs ausgebildete François Mayu die Kommunikationsagentur, die er vor zwanzig Jahren mitgegründet hatte, und macht sich auf den Weg, um ein Schlachtfeld zu erkunden, das ihn nicht in Ruhe lässt: der Chemin des Dames. Sein Großvater mütterlicherseits, Benjamin Bourlier, wurde in Verdun verwundet. Letzteren, der 1953 verstorben ist, hat François Mayu nie kennen gelernt. Erst im Februar 2018 wird er erfahren, dass sein Großvater im Juli 1917 auch am Chemin des Dames gekämpft hatte. Zu dem Zeitpunkt hat François Mayu bereits seit 15 Jahren mehrere Wochen im Winter am Chemin des Dames verbracht, die gepflügten Äcker abwandernd, die Augen auf den Boden gesenkt um nach Fragmenten der Schlacht Ausschau zu halten. Seine Suche ist erfolgreich: Er findet Granatsplitter in großen Mengen, aber auch Lebensindizien (Flaschen, eine Taschenuhr, Fragmente von Partituren). Im Dezember 2016 entdeckte er menschliche Knochen neben leeren Patronenhülsen. Er alarmierte die Behörden, die die Überreste von drei Soldaten bargen, von denen zwei anhand der gefundenen Militärkennzeichen identifiziert werden konnten. Diese Entdeckung ermöglichte es einer bretonischen Familie, hundert Jahre später ein am 16. April 1917 gefallenes Familienmitglied zu beerdigen. Aber das ist nicht der Kern der künstlerischen Arbeit von François Mayu.
Er sammelt die Granatsplitter vom Boden auf, ohne je danach zu graben, reinigt, bearbeitet und lötet sie. Er kreiert langgliedrige Skulpturen mit erhabenen Silhouetten, die er selbst als "beruhigt" empfindet. Aber sie erinnern ebenso an die verletzten Körper der Soldaten oder an "Die Bestürzung der Krankenschwester". Der zerklüftete Stahl zeugt von der verhängnisvollen Flugbahn der Geschosse, die Materie erinnert an den Ursprung der Skulpturen. Einige von ihnen, mit eher abstrakten Formen wie einer Säule oder einem Kreis, hinterfragen mit ihren Titeln: "Für welchen Sieg?" Oder "Das Schöpfad".
François Mayu, noch immer fasziniert vom Chemin des Dames, malt ebenfalls minimalistische Gemälde, Interpretationen seiner Gefühle für dieses Plateau, Schauplatz des Unaussprechlichen. Schlachtfeld-Horizontlinien, weiße oder rötliche Streifen auf schwarzem Hintergrund, unregelmäßige Streifen auf weißlichem Hintergrund evozieren einen aufgewühlten Horizont, Explosionen, verkohlte Bäume. Einige Gemälde sind den im Ersten Weltkrieg aufgenommenen Fotos sehr ähnlich und ihnen in dieser Präsentation gegenübergestellt.
Dank der Skulpturen und Gemälde von François Mayu wird die Geschichte greifbar, weitergeführt, transformiert durch die Kunst, die uns in Frage stellt. Die Flugbahn der Granatsplitter – fixiert in den Werken und ihren Fotografien – wühlt uns auf, verstört uns, lässt uns Dinge denken und fühlen, an die wir keine direkte Erinnerung haben. François Mayu fasst zusammen: "Ich trage dazu bei, dass wir nicht vergessen."
(Quelle: akg-images.de)